Harlan Ellison starb am 28. Juni 2018. Diese sechs Jahre zogen viel zu schnell vorüber. Literatur scheint heute auch ein deutlich kürzeres Verfallsdatum zu besitzen und zahllose Titel, Geschichten und Essays strömen an einem vorbei, wie diese sechs verdammt schnell vergangenen Jahre. Der schriftstellerische Nachlass, der Erhalt seines Schaffens (aber auch das Erinnern an andere Autorinnen, Autoren, Künstler und Künsterlinnen) war für Ellison essenziell. Der Gedanke, dass bei all seinen zahlreichen Geschichten und Essays etwas bleibt war immer wieder Thema in Vorträgen oder dem Kommentar Harlan Ellison’s Watching in der Sendung Sci-Fi Buzz auf dem Sci-Fi-Channel.

Umso bedauerlicher, dass Ellison kaum ins Deutsche übersetzt wurde. Man muss schon alte Ausgaben von Science Fiction Anthologien durchstöbern oder The Magazine of Fantasy and Science Fiction durchblättern, um seine Geschichten zu finden. Mit Ich muss schreien und habe keinen Mund sind zumindest die berühmtesten Stories auf deutsch bei Heyne erschienen. Natürlich hat man es leichter, wenn man Englisch liest, doch allzu einfach wird es einem auch dort nicht gemacht, denn Ellisons Werk ist vergriffen und oftmals nur zu Sammlerpreisen zu erwerben. Dabei ist Ellison keineswegs veraltet oder weniger aktuell. Die Geschichten und Essays bleiben lesenswert und umso erfreulicher ist es, dass J. Michael Straczynski derzeit daran arbeitet, dass Ellisons Werk wieder gedruckt erscheint und darüber hinaus auch der lange angekündigte dritte Band zu Dangerous Visions veröffentlicht werden soll.

Natürlich habe ich Harlan Ellison nie getroffen, aber ich besitze etwas, dass für mich sehr kostbar ist. Eigentlich sind es zwei Dinge: Eine Erinnerung und ein Gegenstand. Vor vielen Jahren hörte ich Ellison von einer seiner Kurzgeschichten erzählen. Es ging um einen seltsamen kleinen Laden, in dem ein Mann obskure Karten von verschollenen Inseln und verborgenen Orten verkauft. Orte wie Skull Island, Lemuria oder Atlantis. Gewaltige Konzerne wollen diesen Laden übernehmen, doch der kleine Besitzer weigert sich zu verkaufen. Fabelhaft. Ich fand nur nie heraus, wie die Geschichte hieß und suchte ergebnislos umher. Da ich keinen Erfolg hatte, schrieb ich eine Nachricht ins Forum von Ellisons Webderland. Überraschenderweise antwortete mir Harlan Ellison, teilte mir den Namen der Kurzgeschichte mit (Incognita, Inc.), wo sie erschien (in der Flugzeugzeitschrift Hemispheres Magazine) und ob ich eine Ausgabe von ihm (wenn gewünscht signiert) erwerben wolle und er schloss mit den Worten „your pal Harlan“. Ich weiß, dass das verrückt ist, aber diese kurze Nachricht bedeutet mir etwas und ist die Erinnerung. Doch ich hatte damals kein Geld diese Zeitschrift zu kaufen (das Porto aus den USA war damals schon hoch und mein Lohn bei der Post war fürchterlich gering, von der Bezahlung für Schreibaufträge gar nicht zu reden) und bedauerte das lange. Als Ellison dann 2018 starb und Teile seiner legendären Sammlung (aus dem verlorenen Aztekentempel des Mars) aufgelöst wurde, erinnerte ich mich an die Geschichte. Es gelang mir sogar diese Zeitschrift mit der Kurzgeschichte aus der Sammlung zu erwerben und das ist (nach der Erinnerung) der Gegenstand.

Es ist nur eine kleine Erinnerung an Harlan Ellison, doch ich wollte das sechste Jahr nicht erinnerungslos verstreichen lassen.