Nur wenn man Spitzen beim Spielen und Leiten einer Spielrunde zulässt, können dabei großartige Szenen entstehen. Das sind die Dinge, an die man sich auch nach Jahren noch erinnert. Der verpatzte Wurf (vermutlich der Klassiker schlechthin); die Aufdeckung des Mordes mit nur einem Hinweis; der gewaltige Schatz, den man – ohne Waffengewalt! – vom Drachen gestohlen hat; die Falle an der drei Charaktere starben und die dann endlich mit roher Gewalt in ihre Einzelteile wurde; das selbstgeschriebene Abenteuer das eine absolute Katastrophe war; der magische Gegenstand, der uns die besten Lacher im Spiel gebracht hat und zum geflügelten Wort wurde; die Charakterklasse, die das ganze Spiel kaputt gemacht hat, weil sie zu mächtig war … Das sind die Spitzen: Höhepunkte und Tiefpunkte gleichermaßen. Mal ist ein Spielabend absolut großartig und mal spielt man lieber auf dem Handy herum, weil es einfach nicht vorwärts geht oder man sehnt endlich das Ende des Spielabends herbei. Das ist völlig normal und nur wenn man etwas wagt, kann dabei Großes entstehen, allerdings mit dem Risiko das es auch völliger Quark sein kann.

Ed Greenwood sagte mal in einem Interview, dass man als Spielleitung sich nicht scheuen sollte mit verstellter Stimme zu reden, die Arme herumzuwirblen und aus sich herauszugehen. Das könnte eine Spitze nach oben sein, wenn man es nur versuchen würde. Gleiches gilt für Abenteuer: Die Prüfung des Rätselmeisters mit komplexen Räumen und keiner Kampfbegegnung könnte vielleicht besser laufen, als man glaubt – aber es könnte auch ein Tiefpunkt in der Geschichte der Gruppe werden. Oder nehmen wir den Klassiker, der für zahllose Spitzen berühmt ist: das Würfeln. Hier regiert der Zufall, hier können wir wenig beeinflussen und hier kann es sein, dass die Spielgruppe haushoch unterlegen ist (obwohl das nur ein kleiner Zwischenkampf war) oder problemlos den Großinquisitor zu Fall bringt, ohne nennenswerte Ressourcen aufzubrauchen. Das gehört zum Spiel dazu, das sind die Spitzen an einem Spielabend die im Gedächtnis bleiben und für Unterhaltung sorgen.

Nur wenn man es ausprobiert, wenn man Höhen und Tiefen zulässt, kann man aus der Monotonie einer gerade Linie ausbrechen. Wie so vieles im Leben ist auch Rollenspiel ein Prozess und nicht abgeschlossen. Man hat Rollenspiel nie „durchgespielt“, es gibt immer wieder das nächste Abenteuer, Setting oder Spiel. Darum: Nur wenn man sich traut völlig zu versagen, kann man  bemerkenswertes schaffen.


Dieser Artikel wurde von Fest & Flauschig (Energy Balls kneten, vom 05. November 2022) inspiriert.